"Tschüss mein Kind!"

In wenigen Wochen ist es wieder so weit: viele Kinder starten neu in die Spielgruppe, den Kindergarten oder in die Schule. Währenddem die einen Kinder vor allem den Schatz (viele neue Spielsachen, Spielkameraden, das «Znünitäschli» oder endlich ein Schulkind zu sein…) sehen, sehen andere Kinder in erster Linie den Drachen der Trennung von der Mama und dem Papa, der den Weg zum Schatz sozusagen versperrt.

Ob Schatz oder Drache, eines ist für alle Kinder essenziell wichtig: Vorschul- und Schulkinder sind darauf angewiesen, dass sie sich temporär an eine erwachsene Person binden können. Sie brauchen eine Person, bei der sie sich aufgehoben, sicher und versorgt fühlen und an der sie sich orientieren können. Dass so eine Person theoretisch verfügbar ist, heisst aber noch lange nicht, dass sie für das Kind auch wirklich diese Rolle einnimmt.

Bindung ist nichts, was sich «verabreichen» oder installieren, und schon gar nicht anordnen lässt. Bindung ist etwas, was wachsen und sich entwickeln muss und dafür braucht es Zeit und gute Bedingungen.

Wenn das Kind sicher an uns als Eltern gebunden ist, können wir aber doch einiges tun, um eine Bindung an die Betreuungs- oder Lehrperson zu fördern, bzw. für diese Bedingungen sorgen.

Wir können bereits jetzt damit beginnen, von dieser Person positiv zu sprechen. Vielleicht können wir zusammen mit dem Kind etwas für diese Person basteln oder ein Bild malen. Im Idealfall (und oft ist das ja so) erhält das Kind auch bereits Post z.B. von der Kindergärtnerin oder darf sogar schon mal im Kindergarten schnuppern und kann sie kennenlernen.

Kurz vor der Übergabe des Kindes ist es gut, wenn wir den Schwerpunkt auf die Verbindung legen: «Ich komme dich am Mittag abholen und dann gehen wir nachhause und kochen Spaghetti, darauf freue ich mich!» Aber es ist auch wichtig, denn imaginären «Bindungs-Staffelstab» zu übergeben: «Bis ich wieder komme, schaut Frau XY auf dich. Du darfst sie alles fragen und zu ihr gehen, wenn du zur Toilette musst, usw.»

Wenn immer möglich ist es hilfreich, wenn wir kurz mit der Betreuungs- oder Lehrperson sprechen können, wenn wir dabei lächeln und vielleicht auch nicken (Ja sagen) können. Dies zeigt dem Bindungsgehirn des Kindes, dass wir «okay sind» mit Frau XY und dies macht es für das Kind einfacher, sich an diese Person zu binden.

Manch ein Kind braucht in dieser Situation etwas Handfestes von uns zum Festhalten. Dies kann ein Schal von Mama sein, ein Anhänger vom Papa, oder auch ein Kuscheltier von zuhause.  

Ja und wenn das alles erfüllt ist… braucht das Kind einfach Zeit. Die einen etwas länger als die anderen.

Wie die Wurzeln eines Baumes brauchen auch die Bindungswurzeln Zeit zum wachsen.

Vielleicht wehrt sich an dieser Stelle etwas in deinem Mama- oder Papaherz und du spürst ein bisschen Traurigkeit darüber, dass dein Kind sich an eine andere Person binden soll. Dann möchte ich dich gerne beruhigen: Unsere Kinder sind dafür gemacht, dass sie verschiedenen Personen in ihrem Leben haben, an die sie unterschiedlich tief natürlich gebunden sind. Wenn wir die Zeit ein paar Jahrzehnte zurückdrehen, sehen wir, dass es früher völlig normal war, dass Kinder in einem grossen Familien-Verband aufwuchsen. Oft lebten mehrere Generationen auf einem Hof und die Kinder wurden keineswegs nur von der Mutter betreut.

Wir sprechen in diesem Zusammenhang gerne von einem Bindungsdorf. Wie in einem echten Dorf gibt es da Personen, die einem ganz nah sind und solche die man nur grad so kennt und alle Facetten dazwischen.

So ein Bindungsdorf ist eine wunderbare Sache und schafft gute Voraussetzungen für die Entwicklung und das Lernen eines Kindes. Genial, wenn Spielgruppenleiterinnen, Kindergärtnerinnen und Lehrer, usw. Teil eines solchen Bindungsdorfes sein können.

-> Mehr zum Bindungsdorf im nächsten Blog!