Lichter am Gokart

 
 

«Jedes Verhalten hat seinen guten Grund» ist einer der Grundsätze der Traumapädagogik. Doch er gilt selbstverständlich nicht nur für traumatisierte Kinder, sondern eigentlich für alle Menschen.

Meine Grossmutter kannte diesen Satz wahrscheinlich nicht, aber die Erfahrung machte sie eines Tages auf lustige Art und Weise.

Sie hatte einen grossen Strauch «Lampionblumen» in ihrem Garten, welchen sie immer hegte und pflegte. Eines Tages beobachtete sie, wie ein Nachbarskind 4 dieser speziellen Blüten abriss und mitnahm. Sie tat es als Einzelfall ab und liess die Sache auf sich beruhen. Doch am nächsten Tag geschah das gleiche und die Tage darauf wieder. Immer 4 Blüten, jeden Tag. Irgendwann fragte sie den kleinen Jungen, warum er jeden Tag 4 Blüten von ihrer Staude reissen würde.

«Ja wissen sie» sagte der Kleine «mein Gokart braucht doch Lichter, vorne 2 und hinten 2. Ich klemme diese Blüten da ein und dann sieht es aus, als wären es echte Lichter.» Lichter, die jeweils abends abfielen und am nächsten Tag natürlich frisch gepflückt wieder angebracht werden mussten. Ist ja logisch, oder?

Meine Grossmutter lachte noch lange über die kreative Idee jenes kleinen Jungen…

Und ich bin irgendwie stolz auf sie, dass sie nicht einfach losschimpfte, denn dazu hätte sie ja allen Grund gehabt. Sie hätte sich ärgern können über einen «frechen Jungen» oder eine Mutter, die ihr Kind nicht erzieht. Nichts davon tat sie, sie ging einfach hin und fragte und erhielt eine Antwort, die durchaus Sinn machte. 😉

Selbstverständlich ist es dennoch nicht okay, die Blüten aus Nachbars Garten auszureissen, auch wenn es Sinn macht. Und so ist auch sonst nicht jedes Verhalten angebracht und kann toleriert werden, und macht es noch so Sinn in den Augen des Kindes.

Doch ich glaube, wir waren viel weniger verurteilend und verletzend miteinander, wenn wir alle immer davon ausgehen würden, dass das Verhalten einer Person immer einen guten Grund hat.

«Verurteile niemanden, bevor du nicht eine Meile in seinen Schuhen gelaufen bist»

Dieses Sprichwort geht in die gleiche Richtung. Denn wenn du eine Meile in den Schuhen des anderen läufst, erkennst du wahrscheinlich so einige Gründe, die das Verhalten des anderen erklären.

Vielleicht könnten wir ja unsere Kinder und Teenager ab und zu fragen, warum sie etwas tun, statt dass wir sie gleich verurteilen oder mit unserer Meinung und unserer Sicht konfrontieren. Und wir könnten sie in Gesprächen dahingehend coachen, dass auch sie sich überlegen, was wohl der Grund für dieses oder jenes Verhalten ihrer Gspänli und Kollegen sein könnte.

Eines meiner Kinder sagte mal «Ach Mama, ich will mich jetzt aber einfach aufregen und nicht dran denken, dass es wahrscheinlich einen guten Grund gibt. Einfach nur aufregen und du sollst mich verstehen!» Nun ja, wahrscheinlich gab es auch hierfür einen guten Grund 😉

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