Von Lügen, Schummeln und anderen Unwahrheiten

 

Beim letzten Blogbeitrag haben wir über Nik gesprochen und sind davon ausgegangen, dass Nik im Beispiel 3 oder 4 Jahre als ist. Heute wollen wir uns überlegen, wie wir mit der Situation umgehen würden, wenn Nik 10 oder 12 Jahre alt wäre.

Falls du das Beispiel nicht mehr präsent hast, kannst du es hier nachlesen:

Beispiel: Niks Mama fragt: «Hast du die Hände gewaschen, als du auf der Toilette warst?» Um zu lügen müsste sich Nik nun bewusst sein, dass er nicht die Hände gewaschen hat und dass das die Wahrheit wäre. Und er müsste sich bewusst sein, dass seine Mutter nicht wissen kann, ob er die Hände gewaschen hat, weil sie in der Küche war. Somit hätte er die Wahl zwischen der Wahrheit («nein, ich habe die Hände nicht gewaschen») und der Lüge («Ja, ich habe die Hände gewaschen»).

Wenn Nik nun 10 oder 12 Jahre alt ist, können wir davon ausgehen, dass es ihm tatsächlich sehr bewusst ist, was die Wahrheit ist, und er grundsätzlich spürt, wo er die Grenze zur Lüge überschreitet.

Was also könnte dahinterstecken, wenn ein älteres Kind lügt?

Ich schlage vor, wir drehen die Sache zuerst einmal um und überlegen uns, warum ein älteres Kind in der Regel ehrlich ist und nicht lügt, selbst, wenn das für das Kind Nachteile (Zurechtweisung, Schimpfen, Strafen…) nach sich zieht.

Fangen wir dafür bei uns selbst an. Wenn wir daran denken, unseren Ehepartner oder gute Freunde zu belügen, dann fühlt sich das für uns falsch an. Das mag mit unseren Moralvorstellungen zu tun haben, aber es ist auch in uns Menschen hineingelegt, dass wir vor denen, die wir lieben, keine trennenden Geheimnisse haben möchten. Und eine Lüge wäre solch ein trennendes Geheimnis.

Dieser Wunsch, nach tiefer Gemeinschaft ohne trennende Geheimnisse liegt in der 6. (und damit tiefsten) Bindungswurzel. Diese Bindungswurzel der Vertrautheit entwickelt ist ungefähr ab dem 6. Lebensjahr, kann sich aber noch ein Leben lang entwickeln. Ist ein Kind nun so tief an seine Eltern gebunden, würde sich eine Lüge als trennendes Geheimnis anfühlen und darum wird es innerlich dazu bewegt, die Wahrheit zu sagen.

Falls du dich nun fragst, ob es auch «nicht-trennende» Geheimnisse gibt: Ja! Ich erzähle meinem Mann nicht, was für ein Weihnachtsgeschenk ich gerade für ihn plane, und dieses Geheimnis fühlt sich in überhaupt nicht trennend oder falsch an. 😉

Nun zurück zu Nik und der Bindungswurzel der Vertrautheit: Können wir nun also davon ausgehen, dass tief gebundene Kinder nie lügen? Leider ist es ganz so einfach nicht. Denn diese Bindungswurzel der Vertrautheit ist eine sehr verletzliche Sache und allzu schnell passiert es, dass ein Kinderherz sich vor zu grosser Verletzlichkeit schützen muss und sich panzert. Und dann kann es sein, dass ein gepanzertes Herz diese feinen Emotionen, die es vor dem trennenden Geheimnis warnen will, nicht mehr wahrnimmt. Es fühlt sich dann für das Kind nicht mehr falsch an, zu lügen, bzw. es nimmt diese Gefühle nicht wahr.

Die Gründe, warum ein Kinderherz sich panzern muss, sind vielfältig. Das kann von überwältigender Sensibilität, über zu viele Verletzungen von Gleichaltrigen, Trennungserfahrungen, und Traumata bis hin zu fehlenden Alphapersonen im Leben des Kindes gehen.

Oft sind uns die Gründe, warum ein Kind sein Herz schützen und sich panzern muss nicht sofort klar. Das macht aber nichts. Wenn wir sehen, dass wir es mit Panzerung zu tun haben, werden wir entsprechend handeln. Und darauf kommt es an.

In erster Linie geht es dann nicht um Zurechtweisung oder Bestrafung, weil das Kind gelogen hat, sondern viel mehr darum, den sicheren Raum zu schaffen, wo das Herz wieder weich werden darf. Dieser sichere Ort ist im besten Fall die Beziehung zu uns Eltern.

Natürlich gibt es auch oberflächlichere Gründen, warum ein Kind lügt oder schwindelt: Vielleicht ist das weiter gamen gerade so dringend, dass man keine Zeit für das lästige Hände waschen hat. Oder so ähnlich… In diesen Fällen dürfen wir auch mal ein Auge zudrücken, spielerisch reagieren oder später noch einmal darauf zurückkommen.

Die Wahrheit bleibt auf jeden Fall: Bindung – just do it! 😊