Steine auf dem (Lebens-) Weg

«Es ist nicht unsere Aufgabe als Eltern, unsere Kinder vor jeglichem Frust und vor allen Verletzungen von Aussen zu bewahren. Es ist unsere Aufgabe sie da hindurch zu begleiten, an ihrer Seite sein und sie das auch spüren lassen.» Dies war wohl einer meiner häufigsten Sätze in Beratungsgesprächen in den letzten Monaten. Als Eltern wünschen wir uns, unsere Kinder vor schwierigen Erfahrungen bewahren zu können, wir würden ihnen so gerne alle Steine aus dem Weg räumen. Doch früher oder später werden wir, bzw. unsere Kinder, schwierigen Dingen begegnen, die wir nicht aus dem Weg räumen können. Und dann?

Was passiert, wenn mein Kind im Sommercamp oder Schullager keinen Anschluss findet und allein dasteht? Wenn mein Kind mit dem Tod einer nahestehenden Person konfrontiert wird? Oder wenn es die 17. Absage auf eine Bewerbung erhält?

«Mein Kind hat Gewalt erlebt. Durch ein anderes Kind, das zwar gleich alt, aber viel kräftiger war und es körperlich bedroht hat. Ist mein Kind nun traumatisiert?» Das wurde ich kürzlich im Rahmen eines Beratungsgespräches gefragt.

Diese Frage mit Ja oder Nein zu beantworten wäre etwa so seriös wie Kaffeesatz lesen.

Gabor Maté, kanadischer Arzt und Co-Autor von «Unsere Kinder brauchen uns!» sagt im Film «The Wisdom of Trauma»: «Nicht das Ereignis ist das Trauma, sondern das, was im Kind (Erwachsenen…) dabei passiert.» Das heisst, wir können aufgrund der Umstände nicht sagen, wie tief die Verletzung geht und ob eine bleibende Verletzung, ein Trauma dabei entstanden ist oder nicht.

Die gleiche Situation kann für ein Kind traumatisch sein und für ein anderes nicht. Es gibt verschiedene Faktoren, die hier hineinspielen, aber besonders in Bezug auf Kinder ist einer ganz wichtig und grundlegend: Fühlt sich das Kind mit seinem Kummer allein? Hat es tief in sich das Gefühl, es gebe keinen Schutz und es könne sich niemandem anvertrauen? Oder aber hat es tief in sich die Gewissheit, dass da jemand ist, der immer zu ihm steht, jemand der Schutz bietet, dem es sich mit jedem Kummer anvertrauen kann?

Dies ist die entscheidende Frage. Und ebenso entscheidend ist eben, wie das Kind fühlt. Fühlt es sich geschützt und geborgen oder nicht? Und das kann sich massiv davon unterscheiden, wie wir die Sache sehen. Gut möglich, dass wir sagen, «natürlich kann mein Kind mit allem zu mir kommen und wir können über alles sprechen.» Aber wenn das Kind dies nicht so fühlt, reicht es einfach nicht.

Gefühle können wir nicht machen, befehlen oder installieren. Wenn wir aber unserem Kind zeigen, dass es bedingungslos angenommen und geliebt ist, wenn wir es willkommen heissen in unserer Gegenwart, tun wir das Entscheidende, damit dieses Gefühl sich im Herzen unseres Kindes breit machen kann. Und dies ist so viel wichtiger und nachhaltiger, als Steine aus dem Weg unserer Kinder zu räumen!

Um zu fühlen, braucht es aber auch ein weiches Herz. Das schauen wir uns beim nächsten Mal an…

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