Teenager und das Prinzip von Arbeit

 
 

«Du musst mehr Mathe lernen, du weisst, dass du gute Noten brauchst, wenn du im nächsten Jahr eine gute Lehrstelle bekommen möchtest. Und nur wenn du einen guten Beruf lernst, hast du später genug Geld, um auf eigenen Füssen zu stehen und dir einen gewissen Standard zu leisten…»

Solche und ähnliche Sätze bekam die 14-jährige Tina immer wieder zu hören. Und wahrscheinlich gibt es noch viele Teenager, die von ihren Eltern ähnliche Szenarien beschrieben bekommen.

Irgendwie tat mir Tina leid. Sie steckte in der ersten Phase der Pubertät und ihre Aufmerksamkeit war gerade auf alles andere gerichtet als auf Mathe. Und wer setzt sich schon mit dem zukünftigen Beruf auseinander, wenn doch gerade zu klären ist, ob die vermeintlich beste Freundin forever, einen gerade durch ein anderes Mädchen ersetzt hat?  Gleichzeitig taten mir auch Tina’s Eltern leid, denn sie sahen das schon richtig: In der Schweiz müssen Teenies im 8. Schuljahr wichtige Entscheidungen treffen. Für alle, die nicht den Weg ins Gymnasium einschlagen, geht es um die Berufswahl und die Suche nach einer Lehrstelle folgt dann auch sogleich im 9. Schuljahr.

Mindestens in der Schweiz sind also Teenager gezwungen ausgerechnet in der ersten Phase der Pubertät wegweisende und weitreichende Entscheidungen zu treffen. Kein Zeugnis der offiziellen Schulzeit hat mehr Gewicht als jenes im 8. Schuljahr, welches den Bewerbungen beigelegt wird.

Gefühle mischen, sich reflektieren, Hintergrund oder mehrere Seiten in eine Entscheidung miteinbeziehen, das alles fällt Anfangs Pubertät schwer bis sehr schwer. Das Prinzip von Arbeit zu verstehen und danach zu handeln, ist für viele Teenies fast unmöglich. Und dieses Verständnis bräuchten sie gerade in dieser Phase so dringend. Heute ein Opfer bringen, um morgen einen Ertrag zu haben, wie beispielsweise heute Mathe lernen, um am Ende des Semesters eine gute Note im Zeugnis zu haben, usw. gehört zum Prinzip der Arbeit. Wer aber gerade sehr im «hier und jetzt» lebt, und wem es schwerfällt, das «morgen» gleichzeitig zu sehen, für den ist es fast unmöglich, beispielsweise heute auf das Fussballspiel zu verzichten, um morgen fit zu sein für die Prüfung.

Zur Beruhigung für alle Teenie-Eltern: Diese Phase ist ganz normal, gehört zur Entwicklung dazu und vor allem: sie geht, wenn alles gut läuft, vorbei! Teenager die gut reifen konnten, erlangen über kurz oder lang die Fähigkeit Gefühle zu mischen und mehrere Punkte in eine Entscheidung einfliessen lassen zu können, etc. zurück und dies wird sogar vertieft und besser möglich als je zuvor.

Blöd nur, dass sich wichtige Prüfungen, entscheidende Zeugnisse und weitreichende Entscheidungen nur bedingt auf später verschieben lassen. Und weil die meisten Teenies (und ihre Eltern) da einfach durchmüssen, sind sie auf unser Verständnis, unsere Unterstützung und auf viel Barmherzigkeit angewiesen.

Basis für diese Unterstützung ist eine sichere Vertrauensbeziehung. Diese bauen wir am besten vor der Pubertät bereits auf und tun alles dafür, dass sie auch während den Stürmen der Pubertät bestehen bleibt Die eigentliche Lösung liegt ja in der Reifwerdung und diese bedingt unter anderem ein Gefühl von Bindungssicherheit.

Weil in der Pubertät Gegenwille (Druck erzeugt Gegendruck) ein grosses Thema ist, tun wir uns gut daran, unsere Teenies nicht unter Druck zu setzen, wie das Tinas Eltern gemacht haben. Auch wenn uns Druck manchmal als die einzige Lösung erscheint, sollten wir möglichst darauf verzichten, denn er schadet der Beziehung und ist nur in seltenen Fällen zielführend. Viel besser ist es, als Eltern immer mehr in die Rolle des Coaches zu schlüpfen. Wenn wir zum Beispiel herausfinden, was denn der Teenager für Ideen, Ziele und Pläne hat, können wir diesen Punkt immer wieder einfliessen lassen.

Teenies brauchen vielleicht immer wieder eine Erinnerung, an die wirklich wichtigen Dinge. Wenn wir diese auf kreative, spielerische, witzige oder ironische Art und Weise rüberbringen, kommt das viel besser an, und ist viel weniger verletzlich, als wenn wir als Spassverderber oder gar Moralapostel auftreten. Blöd sind sie ja nicht, manchmal reicht ein «dein Englischvoci fühlt sich bestimmt ganz einsam» völlig aus… 😉

 

Natürlich gibt es auch Teenies die diese Phase enorm schnell durchleben und im 8. Schuljahr bereits sehr zielgerichtet uns selbständig unterwegs sind. Umso besser 😊 Dies war zum Beispiel bei Tinas älterer Schwester der Fall.

 

Weiteres Wissen zur Entwicklung während der Pubertät und wie wir Teenies optimal begleiten können, findest du im Kurs «Teenager verstehen». Dieser wird im Oktober als Onlinekurs in Kompaktform durchgeführt.

Angela Indermaur